Tour-Nummer: 11 / 2006
Diesen Sonntag wollten Sanne, Johannes und ich einfach mal am Meer verbringen, die Seele baumeln und uns treiben lassen. Wir hatten uns am Timmendorfer Strand einen Strandkorb gemietet, gemütlich Leuten beim Drachensteigenlassen zugeschaut, Muscheln gesammelt und waren jetzt auf der Suche nach einem schönen Restaurant.
„Guck mal, das sieht klasse aus!“ Sanne deutet auf eine alte Villa, die weiß-blau zwischen den Bäumen hervorleuchtet. Das Haus war früher das Wochenendhaus von Walter Gropius. Hier genossen Größen wie Marcel Breuer oder Gerhard Marcks die Gastfreundschaft des berühmten Architekten. Von hier aus ging Kandinsky baden. Heute gehört das Haus der Familie Röhl und ist ein schönes Hotel mit Restaurant. Nach einem leckeren Essen durchstreifen wir den Ort auf der Suche nach weiteren Überresten der goldenen 20er. Doch irgendwie gehen wir leer aus: „20er Jahre? Da haben wir nur noch einen Teller von,“ meint ein Antiquitätenhändler. Macht nichts. Unsere Beschäftigung für den Nachmittag ist klar: wir spielen Architekturdetektive. Egal, welche Epoche.
Direkt aus den 50er Jahren ins Heute gebeamt scheint die „Villa Romantica“ mit ihrem Etepetete anmutenden Charme. Und im kleinen Wäldchen am Kurgelände entdecken wir ein Gebäude, das wie eine Kreuzung aus Tempel und Tankstelle aussieht. Es ist die Trinkkurhalle aus den 50er Jahren. Die Form folgt ganz der Funktion: Ein Gesundheitstempel, in dem die Kurgäste auftanken konnten.
“Alt oder neu?“ fragt Johannes und deutet auf das Haus des Kurbetriebs mit seinen rundlichen Gründerzeitgiebeln. „Alt“ sagen wir. Johannes schaut uns an. „Neu?“ fragen wir. „Beides,“ sagt Johannes. „Abgerissen und dann wieder aufgebaut. Sieht man doch.“ Ehrfürchtig schauen wir ihn an. Doch dann fällt ihm die kleine Timmendorf-Broschüre herunter. Gemogelt. Zur Strafe muss er uns zum Eis einladen. Bei Tonegutti. Die sind schon seit 1936 hier. Mit dicken Eisbäuchen treten wir den Rückweg an. Und finden dann doch noch ein Überbleibsel aus den 20er Jahren: Den Bahnhof. Von 1925. Weiß ich übrigens auch aus dem kleinen Heft …
Ö: Von Lübeck stündlich mit der Regionalbahn nach Timmendorfer Strand. Von dort aus bis zur Ortsmitte ca. 20 Minuten Fußweg, oder den Bus 5817 benutzen, der vom kleinen Bahnhofsvorplatz abfährt.
Villa Gropius und Villa Röhl
Zwei Restaurants gibt es: Das „Gropius“ und das „Feininger“, wobei letzteres das edlere ist. Schön sind alle beide. Wer möchte, kann auch ein Hotelzimmer mieten. Strandallee 50-52, 23669 Timmendorfer Strand, T. 045 03/88 80 00, www.villaroehl.de.
Tonegutti Das Eiscafé. Timmendorfer Platz 1a, 23669 Timmendorfer Strand, T. 045 03/43 05.
Das kleine Heft „ Gemeinde Timmendorfer Strand“ mit einer kurzen Geschichte des Ortes gibt es kostenlos im Kurbetrieb, Timmendorfer Platz 10, T. 045 03/3 57 70, Ostern bis Ende Okt.: tägl. 10:00–15:00 Uhr, Feiert. 11:00–13:00/14:00 Uhr.
Wer sich mehr Meerluft um die Nase wehen lassen will, fährt mit der MS Hanseat von Timmendorf aus auf die Lübecker Bucht hinaus. Der 2 1/2 Stunden-Törn startet sonntags 13:20 Uhr ab Seeschlösschenbrücke, 13:30 Uhr ab Maritimseebrücke. Reederei Belis, T. 01 70/774 72 37, www.ostsee-rundfahrten.de.
Bei Schietwetter kann man im Sea-Life-Center das Meer von unten betrachten. Richtig spannend wird's zur Fütterungszeit. Kurpromenade 5, T. 045 03/35 88 88. Juli bis Aug. 10:00–19:00 Uhr, Sep.–Okt. 10:00–18:00 Uhr, Nov.–März 10:00–17:00 Uhr. Sa., So. und in den Ferien 10:00–18:00 Uhr, www.sealife.de.
Curd Jürgens war hier. Und Onassis auch. In den 50ern. Heute ist der Bau von 1913 aufwändig renoviert und ein nobles Hotel mit Casino und Wellnessbereich. Ein Schokoladenbad zu genießen, lohnt sich – architekturdetektivmäßig von außen angucken auch. Columbia Casino Travemünde, Kaiserallee 2, 23570 Lübeck–Travemünde, T. 045 02/30 80.
Ö: Vom Bahnhof Lübeck z. B. mit dem Bus Nr. 30 und 40 oder mit dem Regionalexpress stündlich von Lübeck Hbf bis Travemünde Strandbahnhof. Von dort 5 Minuten zu Fuß.
Mit der Kulturkarte Schleswig-Holstein lässt sich die architekturgeschichtliche Spurensuche ganz einfach ausdehnen. Achtzehn Symbole kategorisieren über 1000 Kulturdenkmale wie z. B. Siedlungen, kirchliche Bauten, Herrenhäuser oder Nutzbauten. Wachholtz Verlag 2005, ISBN 3-529-08006-3, 12,90 Euro.